Bloggers on FIRE – Financial Independence Rocks (DE)
In unserer Artikelreihe Bloggers on FIRE interviewen wir europäische FI-Blogger um einen besseren Einblick in deren Denkweise zu erhalten. Unser Ziel ist es, eine Art “who’s who” Verzeichnis der europäischen FI-Bloggerwelt aufzubauen. Wir hoffen sehr, dass die Artikelreihe wertvoll für Dich ist und dass Du einige interessante Blogs für Dich entdeckst. Eine vollständige Liste der Bloggers on FIRE Interviews findest Du hier.
Die englische Version dieses Interviews findest du hier.
Bitte stell dich den FIREhub.eu Lesern kurz vor.
Hi, ich heiße Katrin und bin 52 Jahre alt. Mein Mann und ich leben in Hamburg und haben einen erwachsenen Sohn. Kurz vor meinem 49ten Geburtstag bin ich aus dem Angestelltendasein ausgestiegen und arbeite jetzt an Projekten, bei denen es nicht um’s Geld verdienen geht.
Wie kamst du zum Thema FIRE?
Ohne dass ich das geplant hätte, hat sich meine Karriere nach einem Traineeship in einer Mediaagentur ziemlich schnell entwickelt und ich hatte eine Reihe von Führungsjobs in der Werbe- und Marketingbranche. Fast über die ganzen 21 Jahre, die ich angestellt gearbeitet habe, hat mir meine Arbeit wirklich Spaß gemacht – viel Neugeschäft, Aufbau von Abteilungen, Arbeiten mit ganz unterschiedlichen Teams und Kunden in verschiedenen Ländern.
Ich hab 1994 in der Agentur angefangen und hatte das Glück ganz zu Anfang mit dabei zu sein, als der kommerzielle Teil des Internets entwickelt wurde. Da meine Agentur zu einem internationalen Netzwerk gehörte, konnte ich nicht nur in Hamburg, sondern auch in Helsinki und Paris arbeiten, wo auch unser Sohn geboren wurde. Wie in Frankreich völlig normal – in Deutschland auch mehr als 20 Jahre später noch nicht – habe ich nach meiner Rückkehr nach Hamburg Vollzeit weiter gearbeitet (mein Mann auch).
Mein – oder unser – Weg zur finanziellen Unabhängigkeit war am Anfang überhaupt nicht strategisch geplant. Als ich von Paris nach Hamburg zurück- und wir zusammen gezogen sind, haben wir uns entschieden ein Apartment zu kaufen statt zu mieten. Wir hatten den Eindruck, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis bei den Eigentumswohnungen besser war. Allerdings haben wir uns bei der Wohnungsgröße sehr zurück gehalten: 2 1/2 Zimmer auf 63 Quadratmetern. Als wir drei Jahre später zusätzlich ein Au-Pair unterbringen mussten, sind wir auf ein Reihenhaus am Stadtrand umgestiegen.
Unsere erste Wohnung bildete dann die Basis für einige weitere Investitionen in Kapitalanlage-Immobilien. Aber so richtig systematisch mit unseren Finanzen beschäftigt habe ich mich erst, als wir schon Mitte Dreißig waren. Uns wurde bewußt, dass wir wahrscheinlich unsere Jobs nicht bis zum klassischen Rentenalter würden machen können – Leute über fünfzig, geschweige denn sechzig, sind in Werbung und Marketing die Ausnahme.
Deshalb haben wir uns das Ziel gesetzt, in unseren Fünfzigern nicht mehr auf ein regelmäßiges Angestelltengehalt angewiesen zu sein, sondern notfalls auch mit Free-lancing über die Runden zu kommen. Ich hab dann angefangen mehr über Vermögensbildung zu lesen, bin dabei aber – leider – nie über einen der frühen FIRE-Blogs gestolpert.
Witzigerweise habe ich die ganze Community erst entdeckt, nachdem ich schon aufgehört hatte zu arbeiten. Für uns ist es trotzdem sehr okay gelaufen, weil wir beide gut verdient haben (natürlich nicht auf dem Level von Investmentbankern oder ähnlichen Jobs, so gut zahlt die Agenturbranche dann auch nicht). Aber wir hätten deutlich schlauere Investitionsentscheidungen treffen können, wenn ich mein Wissen von heute schon früher gehabt hätte.
Warum wolltest du die Finanzielle Freiheit erreichen?
Wie du an meiner letzten Antwort gemerkt hast, war unsere Entscheidung einen Teil unseres Geldes zu sparen und zu investieren von Sicherheitsdenken getrieben. Und nicht von der Idee, freiwillig aus dem Beruf auszusteigen.
Aber das hat sich bei mir 2013 geändert. Mein Job war zu dem Zeitpunkt mit wöchentlichem Pendeln zwischen unserem Zuhause in Hamburg und meiner Arbeitsstelle in Köln verbunden. Das hatte mich Jahre lang nicht gestört, auch wenn es für unsere Lebensqualität außerhalb der Arbeit natürlich nicht gerade förderlich war. Doch dieser Aspekt rückte deutlich mehr in den Fokus, als ich mit meiner beruflichen Rolle nicht mehr so richtig zufrieden war.
Außerdem war ich zunehmend genervt vom Bullshit-Bingo im Werbebereich und den politischen Spielchen und nicht-enden-wollenden Restrukturierungen innerhalb unseres Konzerns. Ich war auch physisch ausgelaugt und konnte mich nicht dazu motivieren, einen Jobwechsel ernsthaft anzugehen.
Am meisten hat mich wahrscheinlich gestört, dass ich Abends kein Buch mehr aufmachen konnte, ohne nach drei Seiten einzuschlafen und auch für andere Interessen keine Energie mehr hatte – mir fehlte der Ausgleich, der mich vorher immer wieder für den Job „aufgeladen“ hatte.
Insofern ging es bei mir schon auch um FI(RE) „von etwas weg“ (ich finde den Begriff „retired“ zu mißverständlich, deshalb in Klammern). Aber meine Hauptmotivation war, finanziell so unabhängig zu werden, dass ich ein glückliches Leben führen kann, egal wie meine Arbeit bezahlt wird.
Kurzfristig wollte ich genug F***-You-Money für ein Jahr Auszeit zur Jobsuche angespart haben, und um danach den Zeitraum bis zur möglichen Tilgung der restlichen Kredite auf unseren vermieteten Wohnungen gegebenenfalls auch ohne Festanstellung überbrücken zu können.
Wie viel ist für dich “genug”?
Mein „Genug“ ist heute erstaunlich überschaubar, mehr weiter unten. Aber obwohl mein Mann seinen Job immer noch gerne macht – seine Agentur hat eine tolle Firmenkultur – möchten wir dauerhaft so abgesichert sein wie oben beschrieben.
Die zukünftigen Kosten im Gesundheitssystem sind eine große Unbekannte – wir sind privat versichert – und ich gehe davon aus, dass sie weiter schneller steigen werden als die allgemeine Inflation. Deshalb kalkuliere ich mit einem recht großen Sicherheitsspielraum.
Idealerweise kommen wir ohne Kapitalverzehr aus, bevor wir in ein Alter kommen, wo wir vielleicht nicht mehr so wahnsinnig viel Lust darauf haben, uns mit Vermietung zu beschäftigen. Gut ist, dass wir mit 67 Anspruch auf ein solides Basiseinkommen aus der staatlichen Rentenversicherung haben sollten, in die wir während unseres gesamten Berufsleben eingezahlt haben.
Wo bist du auf dem Weg zur Finanziellen Unabhängigkeit?
Ich würde uns als technisch FI bezeichnen, wenn man von den in der Community üblichen Definitionen ausgeht, wie der 4%-Regel bzw. dem 25-fachen der jährlichen Ausgaben. Es hat sich auch tatsächlich herausgestellt, dass ich alle meine aktuellen Kosten aus Mieteinnahmen und Dividenden bestreiten könnte.
Unser Haus ist abgezahlt, so dass wir mietfrei wohnen. Und meine Ausgaben sind sehr stark gesunken: Ich habe jetzt Zeit, beim Einkaufen auf Angebote zu achten, und koche gerne zuhause. Mein Auto ist 22 Jahre alt und ich benutze es fast nicht, meistens gehe ich zu Fuß oder fahre mit dem Fahrrad. Ich gehe nicht mehr zu einem der „In“-Friseursalons unserer Stadt, sondern zum Friseur um die Ecke (Fun Fact: zu meiner echten Überraschung gefällt mir das Ergebnis jetzt noch besser). Keine schicken Klamotten für die Arbeit mehr, keine Impuls-Schuhkäufe oder Wochenend-Trips, um meinen Job-Stress zu kompensieren. Und nachdem unser Sohn inzwischen erwachsen ist, fallen auch keine kinderbezogenen Kosten mehr an.
Da mein Mann ja noch arbeitet, sind wir aktuell aber in der glücklichen Position, dass wir den Cash-Flow re-investieren können. Wenn ich alleine wäre und von „meiner“ Hälfte unsere Investments leben müsste, wäre ich nach dem Ausscheiden aus meinem letzten Job wahrscheinlich in die gesetzliche Krankenversicherung gewechselt. Der Krankenversicherungsbeitrag ist meine höchste monatliche Einzelausgabe (bei weitem).
Was tust du den ganzen Tag, jetzt wo du finanziell unabhängig bist?
Ich bin zu Fuß oder auf dem Fahrrad mit unserem Hund unterwegs, lese, schaue mir Online-Vorlesungen an, die mich interessieren (Geschichte oder Philosophie zum Beispiel), treffe mich mit Freunden oder Familie, engagiere mich bei Themen, die mir wichtig sind. Viele Menschen haben die Sorge, dass sie sich ohne die Strukturen ihres Arbeitsplatzes langweilen könnten. Aber wenn du viele Interessen hast, denke ich nicht, dass du damit Probleme haben wirst.
Trotzdem habe ich festgestellt, dass das Leben von „passivem“ Einkommen nicht nur positive Aspekte hat: Tatsächlich ist ja auch für dieses Einkommen Arbeit nötig – ich mache unsere gesamte Finanzplanung und unsere Steuern, und kümmere mich um die administrative Seite der vermieteten Wohnungen. Aber die „Bezahlung“ hierfür fühlt sich nicht so direkt mit meiner Arbeit verknüpft an, wie es in meinem Angestelltenjob der Fall war.
Mir ist das erst in letzter Zeit richtig bewußt geworden, und ich bin noch nicht sicher, welche Implikationen sich daraus ergeben könnten. Irgendwie scheine ich das Gefühl zu vermissen, etwas geleistet zu haben. Und das wird offenbar nicht so vollständig mit Erfolgen in anderen Bereichen kompensiert – zum Beispiel beim Italienisch lernen – wie ich zuerst gedacht habe. Mir ist klar, dass die meisten Leute das richtigerweise als Luxusproblem betrachten würden. Ich sage es auch nur, weil ich mir vorstellen kann, dass es anderen „Early Retirees“, die aus anspruchsvollen Führungsjobs kommen, ähnlich gehen könnte.
Was war deine Strategie um finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen?
Wir haben immer unter unseren Möglichkeiten gelebt, unser selbst genutztes Haus möglichst schnell abgezahlt und kein neues, größeres Haus gekauft (obwohl ich als Immobilienjunkie ständig in Versuchung war); Investitionen in Mietwohnungen, Aktienfonds/ETFs, Sparpläne Kapitallebensversicherung und private Rentenversicherungen, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Was ist deine finanzielle Strategie nachdem du die finanzielle Freiheit erreicht hast?
Leben vom Cash-flow aus vermieteten Immobilen, Dividenden, Auszahlungen aus Kapitallebensversicherung und privaten Rentenversicherungen, plus staatliche Rentenzahlungen ab 67.
Was war dein großter finanzieller Fehler?
Investitionen in Kapitallebens- und private Rentenversicherungen, einige dot.com-Disaster, und gemanagte Fonds mit Ausgabeaufschlägen statt von Anfang an in ETFs zu gehen (OMG, das hört sich im Rückblick unglaublich dämlich an. Darf ich dazu sagen, dass es heute mit dem Internet tatsächlich wesentlich einfacher ist, sich unabhängig zu informieren ;-)?).
Welchen Rat würdest du deinem jüngeren Ich geben?
Versteh den Zinseszinseffekt und fang möglichst früh an zu investieren. Und: Entspann dich, du musst nicht perfekt sein, es wird sich schon alles finden…
Was ist dein verrücktester Traum?
Ich kann eigentlich nicht sagen, dass ich irgendwelche unerfüllten Träume hätte – ich habe auch keine Bucket List. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich die Möglichkeit hatte, schon so viele interessante Sachen zu machen, in anderen Ländern zu leben, zu reisen, neue Dinge zu lernen.
Aber ich hoffe, dass ich weiterhin immer neue Dinge finde, die ich ausprobieren möchte. Vielleicht ein Business aufbauen, noch einen Master machen, ein Buch schreiben… Mich inspirieren Menschen wie der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt oder Fashion Industrie Icons Iris Apfel und Karl Lagerfeld, die bis ins hohe Alter ihr eigenes Ding machen – das sind meine Helden.
Was ist deine liebste just-for-fun Aktivität, die dir Spaß bringt?
Mit Freunden bei einem ausgedehnten Brunch oder Abendessen an unserem großen Holztisch sitzen; lecker Tapas, Brot und Wein, gechillte Musik, der richtige Mix aus amüsanten und tiefgründigen Gesprächen, und ganz viel gute Laune.